Der folgende Beitrag stammt von unserer Gastautorin Anna-Maria Stadler. Sie hat die Vorstellung von Manifesto of the Now auf der Sommerszene der SZENE Salzburg am 10.6.2024 im Salzburger Kunstverein besucht.
Ich schaue mich um in diesem Gebäude, als wäre ich zum ersten Mal hier. Zuvor war es draußen noch unruhig, jetzt lockert es auf, bevor es Abend wird, trocknet auf. Ich stelle mir vor, wie der Wind durch den Gang fährt, wenn die Fenster offenstehen. Die Runde macht, im Gang, der einmal als Gürtel um den gesamten Ausstellungsraum herum verläuft. Von dem Gang gehen mehrere Türen ab. Ich stelle mir vor, was in den Räumen dieses Gebäudes angesammelt liegt. Aus den Fenstern sehe ich grüne Flächen, gedoppelt in der Fläche des Bodens. A window to the process.
Wir schauen einander an. Sitzen in einem Sesselkreis, warten. Die Gespräche verebben. Kein künstliches Licht, aber ein großes Fenster. Obwohl es Abend wird, ist es noch hell. Manche blättern in dem Begleitheft, das wir zuvor bekommen haben. Darin kurze Notizen der teilnehmenden Künstler:innen, persönliche Manifeste: Yes to trusting the process. Ich sehe Fussel am grünen Teppichboden, dort, wo ein Innehalten, wo eine Bewegung abgebrochen wurde. Breathing.
In die Stille hinein tritt die Performerin. Wir hören auf ihr Atmen, das lauter ist als unseres. Hören auf das Knarzen des Holzbodens unter ihren Bewegungen. Accurate Listening. Hören auf die Bauchgeräusche der anderen.
Die Bewegungen der Performerin zuerst wie ein Dehnen. Ein Aufwärmen. Sie hebt den Arm, langsam. Sie streckt sich, zu einer Seite hin, dann zur anderen. Die Bewegungen plötzlich wie Vorbereitungen auf einen Kampf. It is happening. Der Arm fährt am Körper vorbei, wendet sich abwehrend. This is a courageous act. Das Bein zeigt in den Raum hinein.
Heute ist der erste Termin der Performance Manifesto of the Now – Acts of (non)Resistance im Rahmen der Sommerszene 2024. INFLUX – das von Nayana Keshava Bhat gegründete interdisziplinäre Netzwerk – wird an drei weiteren Terminen, ein weiteres Mal im Salzburger Kunstverein und zwei Mal im Salzburger Toihaus, Variationen in unterschiedlichen Konstellationen aber ähnlicher Anordnung realisieren.
Yes to my face in the mirror. Eine kleine Spiegelfläche über der Spüle. Unsere Gesichter, in dem Raum. Die Bewegungen der Performerin dazwischen. Der Stoff ihrer Hose orange. Das Licht fällt von außen auf sie herein, fällt von herinnen hinaus.
Über der Spüle fällt mir ein kleiner Lautsprecher auf. Aus dem Lautsprecher hören wir: Yes to you and your family. No to the climate change. Yes to the sink. Ein Einlassen und Abschließen, in einem Wechsel. In a process of translation.
In Manifesto of the Now findet in mehreren Passagen eine Erkundung von Gegenwärtigkeit statt. Was als eine Praxis des Aufbegehrens benannt wird, wandelt sich in der Übersetzung zwischen den verschiedenen Handlungen von Abwehr zur Durchlässigkeit. Die Performerin wendet sich langsam zu allen Seiten, bevor sie plötzlich aus dem Raum verschwindet. Sie lässt die Türe offenstehen. Wir hören: Musik, am Gang.
In his Absence, klingt es aus dem Textheft nach.
Wir warten, hören. Here and now. Schauen denen ins Gesicht, die durch die offenstehende Türe sehen. Dann stehen die ersten auf, gehen hinaus in den Gang, wo drei Menschen stehen, aneinander gelehnt. Sie stützen einander, lasten ihr Gewicht aufeinander. Einer spielt ein Streichinstrument. Ich zähle sie Saiten. Das Licht hier noch heller. Wieder: Atmen.
Ein Manifest scheint etwas zu behaupten. Die Handlungen, die sich hier aneinanderreihen dagegen, sind suchend. Ich schaue in das Gesicht des Performers, der mir am nächsten ist. Sein Gesicht zeigt Schmerz, oder Angst, oder anderes. Er scheucht. Fuchtelt in die Luft, verscheucht Unsichtbares aus den Ecken, treibt es an den Wänden entlang, mit seinen hastigen Handbewegungen. Er zieht die Luft ein, stößt sie aus. Die Frau, von der ich nur den Rücken sehe, macht ein zischendes Geräusch.
Der Performer rennt los, wir folgen ihm, weichen ihm aus. Er läuft den Rundgang entlang, bremst knapp vor einer Wand, kommt ganz nahe, ist mit inneren und äußeren Gespenstern beschäftigt. Das Zischen und Rattern aus dem Mund der Sängerin. Sie folgt ihm durch den Gang, er läuft ihr voraus. Wir folgen zögernd, verstellen einander unabsichtlich den Weg, weichen aus, weichen zurück. And it is fleeting. Es hallt in dem Rundgang. Ein Kind beginnt zu weinen. Eine Frau trägt es hinaus.
Zischen, so laut, dass es sich zur Decke hinaufschraubt. Ein Schreien. Das Weinen des Kindes, ein Unbehagen.
Sich Fortbewegen. Das Gewicht verlagern. Wir gehen durch den Gang, lehnen an der Wand, hocken am Boden. Die Performenden reagieren auf uns, umschiffen uns. Eine Hand knallt direkt neben mir gegen die Wand. Scheucht Abwesendes zur Decke hinauf. Ich schaue zur Decke. Schaue an den Wänden und anderen entlang, die sich langsam im Gang bewegen, die drei Performenden im Blick, die sich zueinander verhalten und dabei nie stillhalten. Besonders der eine, der mehrere Runden rennt, bevor er plötzlich abbremst. Im Gesicht der Schrecken.
Wir gehen durch das Gebäude. Viele Türen gehen vom Gang ab. Aus einer kommt eine Malende heraus, kommt aus ihrem Atelier und steht mitten zwischen uns, schaut sich um, schaut uns an, und die Zischende und den Rennenden. Sie trägt einen Kittel, in der Hand ein Glas mit langen Pinseln darin.
Wir streifen durch das Gebäude. Hinter jeder Türe wartet etwas. Wir folgen den Performenden in einen anderen Raum. Holzboden und hohe Fenster. In der Mitte des Raumes ein Flügel, präpariert. Wir sitzen. Sehen nicht alles, was die Performerin tut, aber hören wie sie am Flügel arbeitet und den Flügel bearbeitet, sehen sie werken, Fäden und Stücke herausziehen, und andere zwischen den Saiten verankern.
Wir schauen ihr zu, als wären wir zufällig vorbeigekommen. Als seien wir in diesem Gebäude zu Gast, und neugierig darauf, was hinter den Türen und in den Gängen noch wartet. Hören auf jedes Geräusch. Die Widerständigkeit scheint in der Konzentration auf die Gegenwärtigkeit zu liegen. Im Hören auf das Atmen, das Saugen, das Zischen, das Schreien. Im Schauen auf den halbgeöffneten Mund. Das Licht auf den Gesichtern. Die Schultern, wo sie aufeinandertreffen. Die Hand, wo sie an der Wand entlangstreift. Die Finger, zwischen den Saiten des Flügels. Die Widerständigkeit, vermutet man, liegt im Einlassen auf dieses Ereignis.
Oder, wie ich zwischen den Seiten des Textheftes finde: Tomorrow has begun in this very moment. And we all are together in it.
arbeitet als Autorin, Künstlerin, Kulturarbeiterin und Lehrende. Sie war mit einer Arbeit über Paratext in der Gegenwartskunst Teil des Doktoratskollegs an der Interuniversitären Einrichtung „Wissenschaft & Kunst“ in Salzburg. 2022 ist ihr erster Roman „Maremma“ im Jung und Jung Verlag erschienen, der auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreis Debüt war. (mehr Infos zur Autorin)
INFLUX – Netzwerk für Tanz, Theater & Performance ist ein offenes Netzwerk von Künstler*innen unterschiedlicher Disziplinen. Gegründet im Jahr 2017 von Nayana Keshava Bhat und in kontinuierlicher Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstler*innen weiterentwickelt, spielt Interdisziplinarität eine Schlüsselrolle bei den Aktivitäten. Das Netzwerk mit Sitz in der Stadt Salzburg arbeitet an der Entwicklung neuer Formate aus den Bereichen Performance, künstlerische Forschung, nicht-formales Lernen, kollaborative Projekte mit Laien etc. und fungiert als Plattform für Kunstschaffende, um ihre Kunst untereinander und mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen. (mehr Infos zu INFLUX)
International, zeitgenössisch, profiliert, virulent, avantgardistisch, diskursiv, politisch: Das jährlich stattfindende Festival Sommerszene ist das künstlerische Herzstück der SZENE Salzburg. Für knapp zwei Wochen gastieren bedeutende Namen und neue Entdeckungen aus aller Welt mit ihren aktuellen Tanz- und Theaterstücken in der Stadt. Das Programm zeigt maßgebliche künstlerische Positionen, die mit ihren Projekten unsere Realität in unterschiedlichen Ästhetiken reflektieren. Im Besonderen konzentriert sich das Festival auf Projekte aus dem Bereich der darstellenden Kunst: Tanz, Theater und Performance bilden die inhaltlichen Schwerpunkte. Darüber hinaus zeigt die Sommerszene – im Sinne eines zeitgenössischen, interdisziplinären Kunstverständnisses – aber auch Projekte anderer Sparten wie etwa Installationen, Filme oder Konzerte. Neben hochkarätigen Gastspieleinladungen kooperiert die Sommerszene eng mit lokalen Gruppen, die ortsspezifische Arbeiten für das Festival entwickeln und damit verstärkt den öffentlichen Raum zur Spielstätte machen. (mehr Infos zur Sommerszene)