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Das Interview wurde auf Englisch geführt. Das Original findet sich hier.
Dan Su, eine transdisziplinäre avantgardistische Künstlerin, die auch als su dance110 bekannt ist, wird das Solo-Stück Jī 击 (chinesisch für “etwas schlagen”) am 18. und 19. Oktober im VORBRENNER in Innsbruck aufführen. VORBRENNER, eine experimentelle Plattform für prozessorientierte Arbeiten in verschiedenen künstlerischen Disziplinen, wählte Dan Sus Projekt über einen Open Call für eine kurze Residenz aus. Während ihres Aufenthalts entwickelt Su die 3 D Metal Serie, ein exploratives Projekt, das die Beziehung zwischen Bewegung und Klang nachzeichnet. Dieses Projekt untersucht Ursache und Wirkung durch performative Körperhandlungen wie Hängen, Werfen und Schlagen. In diesem Interview spricht Su über die persönlichen, kulturellen und philosophischen Einflüsse, die ihre Arbeit prägen, und gibt Einblicke in ihren kreativen Prozess sowie den konzeptionellen Rahmen, der dahintersteht.
Liebe Su, ich möchte mit deiner Biografie beginnen, da ich gelesen habe, dass es für deine Arbeit bedeutsam ist, Aspekte der Kultur, aus der du stammst, einzubinden. Du wurdest in China, in der Provinz Yunnan, geboren. Wie beeinflussen dich deine kulturellen Wurzeln noch heute?
Die Kultur in China – ich komme aus Kunming, in der Provinz Yunnan im Süden Chinas – ist sehr vielfältig. Yunnan hat die meisten Minderheiten in China, etwa 25, sodass ich in meinem Aufwachsen von ihnen geprägt wurde. Ich denke, die Kultur hat mich unbewusst beeinflusst, insbesondere in Bezug auf ihre Vielseitigkeit. Wenn ich heutzutage Musik mache, inspirieren mich immer noch die folkloristischen kulturellen Elemente meiner Heimat.
Konzeptionell scheint deine Arbeit starke philosophische Einflüsse zu haben. Integrierst du auch alte chinesische Philosophie in deine Arbeit, wie zum Beispiel TAO?
Ja, ich würde sagen, dass Philosophie eine wichtige Rolle in meiner Arbeit spielt, insbesondere in Bezug auf Fragen der Existenz und Zugehörigkeit. Ich würde jedoch nicht sagen, dass ich ausschließlich von der chinesischen Philosophie beeinflusst bin, da ich auch viele Werke westlicher Philosoph*innen lese, die mich stark geprägt haben, wie zum Beispiel die Arbeiten von Heinz von Förster zur Kybernetik, Vilém Flusser über Medien und Schriften und, neuerdings, Nelson Goodman, der einen integrierten Blick auf Kunst und Wissenschaft hat. Es ist eine Kombination aus beidem – Ost und West. Aber ja, der Taoismus hat mich definitiv ebenfalls beeinflusst.
In Bezug auf den Taoismus befasst sich das Projekt, an dem du für VORBRENNER arbeitest, mit der Idee der Kausalität — wie Dinge und Bewegungen miteinander verbunden sind. Kannst du mehr darüber erzählen, wie taoistische Ideen deine Arbeit beeinflussen?
Ja, kausale Inferenz war etwas, das ich in den USA wissenschaftlicher studiert habe, durch das, was als „quantitative Methodologie“ bezeichnet wird. Ich begann, mich sehr für Kausalität zu interessieren und begann Experimente zu entwerfen, um Ursache und Wirkung zu verstehen. Jetzt spiegele ich dies in meiner Kunst wider — Ursache und Wirkung mit Bewegungen und Klang — und untersuche diese Beziehung in einem künstlerischen Kontext. Was den Taoismus betrifft, so beeinflusst er meine Arbeit auf eine transzendente und poetische Weise, sowohl in der Betrachtung als auch in der Schaffung einer Welt. Um eine Welt zu verstehen, muss ich beinahe eine neue konstruieren, und der Prozess, sie auf eine poetische Weise zu konstruieren, fühlt sich meiner Natur näher an, ohne dass ich dabei meine systematische Sichtweise verliere.
Was fasziniert dich an Kausalität?
Ich denke, es geht um die Wurzeln der Dinge und das Verständnis der komplexen Beziehungen zwischen einfachen Dingen oder einfachen Korrelationen in einer komplexen Welt und darum, in der Lage zu sein, neue Welten durch meine eigenen Entdeckungen und meine eigene Sprache zu schaffen und anzudeuten. Für mich sind die Disziplinen in der Kunst und auch in der Wissenschaft heute ziemlich voneinander abgetrennt. Selbst in interdisziplinären Projekten gibt es Zusammenarbeit, aber nicht in einer tief integrierten Weise. Ich suche einen transdisziplinären Ansatz, bei dem verschiedene Medien aus einem einheitlichen konzeptionellen Rahmen hervorgehen. Ich möchte eine Sprache finden, die dafür entworfen ist.
Hast du einen spezifischen Fokus, wie du deine Arbeit in Innsbruck entwickeln wirst?
In diesem Projekt, das eine Klang-Bewegungs-Performance sein wird, geht es darum, wie Körperbewegung auf eine ausgefeiltere Weise Klang erzeugt. Es ist nicht immer sofortig wie beim Spielen eines Instruments; es kann eine signifikante Verzögerung in Bezug auf den Raum als Faktor geben. Ich spiele auch mit der Sichtbarkeit der Ursache des Klangs. In Innsbruck konzentriere ich mich auf die Bewegung von „Jī“, was bedeutet, etwas zu schlagen oder zu werfen – es gibt einen Ursprung, eine Richtung und ein Ziel dieser Bewegung. Dies übersetzt sich auch in Klang; ich möchte in diesen spezifischen Bewegungswortschatz eintauchen, indem ich einen psychoakustischen Raum untersuche, in dem die Erfahrungen von Ursprung, Richtung und Ziel transformiert werden, ähnlich wie mein eigener Lebensweg. Dies geschieht durch eine Kombination aus Komposition, Sounddesign und Choreografie mit Hilfe von Technologie.
Warum hast du dich für diese Bewegung des Schlagens entschieden? Hast du eine spezifische Idee, welche Erzählung oder Geschichte du vermitteln möchtest?
Es ist eher eine Fortsetzung meiner choreografischen Praxis, spezifische Bewegungswortschätze zu studieren. „Hängen“ war der Bewegungswortschatz, den ich am meisten in der Oper Gentle Brutality (2021) praktiziert und angewendet habe, die sich mit Obdachlosigkeit beschäftigt. „Ziehen“, im Chinesischen Pingyin „Tuō“ (2023), ist die Bewegung, um die eine der Aufführungen in meiner 3 D Metal Serie zentriert ist, wobei ein Charakter eines Raumfahrers geschaffen wird, der absurd ohne spezifischen Zweck umherzieht. Jetzt kommt Jī 击 aus einem obsessiven Bild in meinem Kopf, einen Stein zu werfen. Es hat mit dem Ursprung der Dinge zu tun. Ich glaube, dass Schöpfende, die mit dem Schaffen begonnen haben, dies taten, weil ihre Köpfe von einem Stein getroffen wurden. Also begannen sie von da an, verschiedene Steine in die Dunkelheit zu werfen. Vielleicht war das die Motivation.
Der narrative Aspekt ist auch wichtig, wenn es um Komposition geht. Du hast deinen Master in Choreografie gemacht. Kannst du mehr über deinen Arbeitsprozess erzählen – wie entwickelst du deine Choreografie?
Der narrative Aspekt ist immer Teil meiner Arbeit, aber meistens habe ich keine feste Erzählung. Der Charakter entsteht in der Regel während des Prozesses und entwickelt sich, während ich an dem Stück arbeite, auch auf der Bühne. Ich beginne normalerweise mit dem Setting, was den Raum, den Ort oder die Situation bedeutet, und arbeite dann mit den Materialien, mit denen ich mich beschäftige, einschließlich physischer Objekte und Bewegungen. Durch das Erforschen der Beziehung zwischen dem Körper und dem Setting wird der Charakter und seine Erzählung für mich immer klarer. Das impliziert auch, dass ich mit einer offenen Struktur arbeite. In der Performance wird der Charakter durch eine offene Interaktion mit dem Setting zum Leben erweckt. Vielleicht ist mein Ansatz zur Choreografie eher der einer Musikerin, die zuerst das Setup herausfindet und dann spontan spielt, indem sie mit dem Setting und dem Publikum interagiert.
In Innsbruck wirst du deine Performance im Rahmen deiner transdisziplinären Projektserie 3 D Metal Series entwickeln und präsentieren. Warum dieses Material?
Diese Reihe begann 2021 während meines Aufenthalts im Torhaus Stadt Wehlen. Ich denke, die Wahl des Metalls kam intuitiv wegen seiner Klangqualität. In traditionellen Instrumenten, wie Klavieren oder anderen Saiteninstrumenten, ist Metall ein gängiges Material. Für mich erzeugt Metall Spannung, und während es formbar ist, produziert es eine Vielzahl interessanter Klänge. Ich verwende oft gefundene Metallobjekte und verbinde sie mit Elektronik, um den Klang weiter zu manipulieren. Ästhetisch finde ich es visuell ansprechend aufgrund seiner Farbe und Textur. Ich bin von seiner rohen Natur inspiriert. Als grundlegendes Element der Erde kann es seine Lebendigkeit durch Oxidation zeigen.
Wenn du über deine Arbeit sprichst, verwendest du Begriffe wie „Hauntologie“, „Kybernetik“ und „Nicht-Humanismus“. Wie hängen all diese zusammen?
Es gibt verschiedene Ebenen in meiner Arbeit. Zunächst gibt es die materielle Ebene, auf der ich mit Objekten und ihrem Klang arbeite. Dann gibt es die Körperebene — den Körper innerhalb eines Ortes oder einer Umgebung, die auf die Raumebene verweist. Schließlich gibt es eine unsichtbare Ebene — obwohl es kitschig klingen mag, es als spirituell zu bezeichnen, ist es etwas, das ein eindrucksvolles Gefühl erzeugt und Raum für eine bewegende und gespenstische Präsenz schafft. Dieses Gefühl ist es, das ich in meinen Performances zum Vorschein bringen möchte. Die Kybernetik ist die Methodologie oder Theorie, auf die ich mich beziehe. Ich arbeite mit interaktiven Elementen und Rückkopplungsschleifen, die verschiedene Ebenen verbinden und manchmal Teilnehmer*innen einbeziehen. Es geht darum, eine Welt mit einer offenen Struktur zu konstruieren, in der verschiedene Ebenen — Körper, Material, Raum — miteinander interagieren können. Manchmal lege ich mehr Wert auf Maschinen und unbelebte Materie als auf menschliche Körper, und diese Maschinen oder nicht-menschlichen Elemente können ebenfalls verkörpert werden. So lasse ich Raum für das Unbekannte, damit Geister eintreten können.
Ich habe mir deine LP Shang Can auf Bandcamp angehört und festgestellt, dass du eine Fantasiesprache erwähnst, die von der Yunnan-Kultur inspiriert ist, um Klänge zu erzeugen…
Ja, dies ist ein nachfolgendes Musikprojekt zu Gentle Brutality (2021). Es reflektiert, was „Heimat“ für mich bedeutet. Es schöpft aus Erinnerungen an meine Heimatstadt, wo die Menschen Volkslieder sangen und über die Berge kommunizierten. Ich kenne ihre Sprache nicht, weil ich nicht zu dieser Minderheit gehöre, aber sie hat mich berührt. Als Minderheit, die im Ausland lebt, habe ich meine Fantasiesprache geschaffen, weil Heimat für mich ein Ort ist, an dem ich meine eigene Sprache sprechen kann. Außerdem liebe ich es, freestyle zu improvisieren. Es ermöglicht mir, meine Gefühle spontan zu übertragen, ohne mir Gedanken darüber zu machen, wörtliche Bedeutungen anzuhängen.
Du erwähnst auch einen heilenden Aspekt in der Beschreibung deines Klangprojekts. Gilt das für all deine Arbeiten?
Kunst ist für mich im Allgemeinen heilend. Künstlerische Praxis, insbesondere Musik, ist eine Möglichkeit, zu leben und zu heilen. Sie ist fundamental und hat eine tiefgreifende Wirkung. Sie treibt mich an, weiterzuleben, und ermöglicht es mir, alle Lasten der Vergangenheit abzulegen und mich auf die Gegenwart zu konzentrieren.
Deine Website hat einen verspielten Vibe, sie zeigt sogar den Schriftzug „work=play“. Wie wichtig ist Verspieltheit für deinen improvisatorischen Arbeitsprozess?
Der Arbeitsprozess ist für mich wie ein Spiel. Ich muss vollständig darin eintauchen und Freude an dem haben, was ich tue. Ich möchte nicht alles todernst nehmen. Für mich geht es um Neugier und darum, offen für das Unbekannte zu bleiben. Natürlich gibt es eine Absicht und eine Vision hinter der Arbeit, oft begleitet von viel Recherche und Übung. Erleuchtung kommt, wenn ich beim Spielen von einem Stein getroffen werde.
Dan Su ist eine in Kunming, China, geborene, in Berlin ansässige transdisziplinäre Künstlerin, Komponistin, Musikerin und Choreografin, die mit Klang und Bewegung im Kontext von Musik, Performance und Kunst arbeitet. Mit einem spielerischen Gestus erzählt ihre Arbeit offene Erzählungen, die sich um das Zusammenspiel von Ontologie, Kybernetik, Psychologie und Methodologie drehen. Durch eine persönliche Linse versucht ihre Arbeit, die fünfte gespenstische Dimension hervorzurufen und neue Erfahrungen in unvorstellbaren Landschaften zu schaffen. su dance110 ist der Bühnenname von Dan Su im Bereich des Klangs. Su 子煊 ist ihr Pseudonym als Schriftstellerin.
geb. 1993, lebt meistens in Tirol. Sie hat die MA Studien Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck abgeschlossen und macht derzeit ihren PhD in Ästhetik und Kunstphilosophie. Sie arbeitet freiberuflich als Kuratorin, Kulturarbeiterin und Kulturjournalistin und leitet die gemeinnützigen Kulturvereine komplex-KULTURMAGAZIN und GRUND1535.